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WUD 2023 – Fachrückblick

Lesedauer ca. 9 Minuten
30.11.2023

Am 09.11. haben wir zum siebten Mal unseren World Usability Day Leipzig veranstaltet. Unter dem diesjährigen Motto „Collaboration & Cooperation“ sprachen unsere hochkarätigen Speaker in sieben Keynotes sowie zwei Workshops über Themen, die sie selbst sowie die UX-Welt bewegen. Wir haben dieses Wissen gesammelt und präsentieren es nun kompakt zusammengefasst in einer zweiteiligen Reihe.

Die kompetente UX-Organisation

Den Anfang machte Dominique Winter (Produktwerker) mit seiner Keynote „Die UX-kompetente Organisation“. Er befasste sich vorrangig damit, wie es einer Organisation gelingen kann, ihre UX-Kompetenz zu verbessern und somit positive Nutzungserlebnisse zu schaffen. Um das herauszufinden, hat Dominique mit Führungskräften, die über einschlägige UX-Erfahrung verfügen, gesprochen und dabei fünf Handlungsfelder identifiziert: Wahrnehmung, Individuum, Prozesse, Kultur und Ressourcen. Diese Handlungsfelder agieren keineswegs unabhängig voneinander, sondern bilden ein wechselseitiges System.

Doch bevor Verbesserungen vorgenommen werden können, muss erst mal der Status quo der Organisation ermittelt werden. Hierfür empfahl Dominique mit dem UEQ-S zu messen. Es handelt sich dabei um eine Kurzfassung des UEQ+ zur Ermittlung der pragmatischen und hedonischen Qualität. Weiß eine Organisation, auf welchem Stand sie ist, kann sie darüber nachdenken, sich zu verbessern. Die Evaluierung erfolgt in drei Phasen: Planung, Durchführung und Verwertung. Um nachhaltige Veränderungen zu bewirken, ist es immer wieder notwendig, die eigenen Entscheidungen und Ergebnisse zu hinterfragen. Der Prozess ist mit der Verwertung jedoch noch lange nicht abgeschlossen und befindet sich in einer ständigen Rückschleife. Als Tipp, die organisationale UX-Kompetenz zu verbessern, legte uns Dominique nicht nur die Durchführung interner Workshops mit repräsentativen Mitgliedern nahe, sondern auch mal darauf zu schauen, wie andere es gemacht haben.

Veränderung nimmt viel Zeit in Anspruch und bleibt etwas Herausforderndes. Will eine Organisation ihre UX-Kompetenz verbessern, fördert eine Entwicklung auf all ihren Ebenen, so Dominique, diese am meisten. Zur Überzeugung von Promotoren und Sponsoren eignet sich ein UX-Pilotprojekt, das durch seine Durchführung die Verwendung von UX-Methoden anschaulich präsentiert.

UX-Strategie: UX nachhaltig im Unternehmen etablieren – drei Top-Tipps für mehr User-Involvement

Für viele Unternehmen gilt: Alle machen UX, wir wollen das auch. Doch wie kann es gelingen, eine nachhaltige UX-Strategie im Unternehmen zu etablieren? In ihrem Vortrag identifizierten Christin Hermann und Michelle Greisner (Userlutions) User Involvement schließlich als den maßgeblichen Faktor und versorgten uns mit drei Top-Tipps, um dieses zu steigern.

Bei ihrem ersten Tipp drehte sich alles um Kommunikation. Da UX- und Produkt-Teams unterschiedliche Sprachen sprechen, reicht ein fundiertes UX-Methodenwissen alleine nicht aus, um UX im Unternehmen zu etablieren. Es braucht viel soziale Kompetenz, um das notwendige Budget und die Unterstützung für Veränderung zu bekommen. Mitarbeitende aus dem UX-Team müssen also auch die Sprache der Produkt-Teams sprechen. Hierfür empfahlen Michelle und Christin eine User Research mit den Stakeholdern durchzuführen. Vieles wie bspw. Needs, Limitationen sowie die Prozesse erschließen sich bereits in der Zusammenarbeit, und in der Regel genügt es, diese zu evaluieren und iterieren.

Als nächsten Tipp gaben uns Christin und Michelle „Showing Up“ mit an die Hand. Um ein Bewusstsein für UX im Unternehmen zu schaffen, ist es wichtig, an unterschiedlichen Meetings und Zusammenkünften teilzunehmen (Teamday, Daily etc.) Entscheidend ist dabei, auch etwas mitzubringen, um die anderen Teams zu überzeugen. Knackige Onepager oder Highlightvideos, in denen echte Menschen agieren, eignen sich hierfür besonders. Es empfiehlt sich auch ein Portfolio oder einen Methodenkoffer in der Sprache der Nutzenden anzulegen. Für die anderen Teams ist es vor allem auch relevant zu wissen, wie viel Zeit und Budget das Projekt in Anspruch nimmt.

Der letzte Tipp, den die beiden für uns parat hatten, bezieht sich auf KPIs. Um UX nachhaltig im gesamten Unternehmen zu verankern, ist besonders wichtig, die allgemeinen Unternehmensziele zu kennen und diese einmal aus UX-Sicht zu betrachten. Allen Beteiligten muss klar werden, dass UX genauso auf diese Unternehmensziele einzahlt und sie beeinflusst. Darüber hinaus ist es auch hilfreich, UX-interne KPIs zu verfolgen (bspw. Regelmäßiges Testen von Entwürfen, Evaluationen von Tools oder die Berechnung des ROI für ein bestimmtes Feature).

UX und Scrum im Einklang

Florian Holzhäuser (IT Sonix) gab uns aufschlussreiche Einblicke in seine Erfahrungswerte, wenn es um das Zusammenspiel von UX und Scrum geht. Zur Veranschaulichung hatte er uns vier Szenarien mitgebracht, die UX Designer in ihrer Arbeit mit Entwicklungsteams vor unterschiedliche Herausforderungen stellen und wie diesen zu begegnen ist.

Im ersten Szenario ist kaum Budget vorhanden und das Projekt weist eine geringe User-Interaktion auf. Vor allem unklare Erwartungen sowie Einsatzmöglichkeiten stellen hier neben dem geringen Budget ein Problem dar. Abhilfe kann hier geschaffen werden, indem UX Designer die Rolle des „Predigers“ einnehmen. In diesem Projekt geht es für UX Designer vor allem darum, ein Bewusstsein für nutzungszentriertes Arbeiten zu schaffen, bspw. durch Schulungen von Product Owner und Team oder die Zuarbeit von Konzept, Research und Design.

Szenario zwei verhält sich ähnlich, weist zu dem geringen Budget jedoch auch die Schwierigkeit eines hohen Workloads auf. UX Designer in solchen Projekten stehen oft unter Zeitdruck und müssen viele Stunden in die Kommunikation investieren. Der Spagat zwischen Abstimmung und tatsächlicher Tätigkeit führt oftmals zu Spannungen. Wer sich in einem solchen Projekt wiederfindet, muss nach Florians Worten zum „Mentor“ werden. Oftmals erfordert diese Rolle erfahrene UX Designer sowie eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Product Owner und die Verwendung von Hilfsmitteln.

Das dritte Szenario wartet mit genügend Budget auf und hat darüber hinaus auch keine Abhängigkeiten. Insbesondere Transparenz ist hier wichtig, genauso wie das Einfügen in den Sprintrhythmus. Die Zusammenarbeit mit den Usern muss geplant werden, um vorgegebene Timeslots nutzen zu können. Aufgrund der fehlenden Abhängigkeiten kann der Anschluss zum übrigen UXD-Team verloren gehen. Um als UX Designer in Projekten dieser Art erfolgreich agieren zu können, empfiehlt Florian, die Rolle des „Machers“ anzunehmen. Man wird fester Bestandteil des Entwicklungsteams und der Sprintevents, macht UX-Aufgaben im Entwicklungsbacklog sichtbar und etabliert im Sinne von DoD ein UX-Review.

Im letzten Szenario verfügt das Projekt über ausreichend Budget, hat aber Abhängigkeiten zu anderen Projekten. Aufgrund der steigenden Produktkomplexität stellt dieses Projekt die größte Herausforderung dar. Durch die Abhängigkeiten zu anderen Produkten bzw. Services steigen die Kommunikationsaufwände und die Entscheidungsfähigkeit wird beschnitten. Wer UX-Anliegen hier erfolgreich durchbringen möchte, muss versuchen, über das gesamte Unternehmen hinweg präsent zu sein. Florian hat für diese Rolle den Begriff des „Daywalkers“ etabliert. Der Daywalker bewegt sich ohne Schwierigkeiten zwischen den Bereichen UX und Softwareentwicklung. Er arbeitet eng mit der Softwarearchitektur zusammen, nutzt Synergien und implementiert in der Regel ein Design System.

Uppps! ... aus Versehen New Work gemacht

Vor allem ein Buzzword ist derzeit, nicht zuletzt durch die voranschreitende Digitalisierung, in aller Munde. Die Rede ist von New Work. Benjamin Rogg (New Work Institut) beseitigte in seinem Vortrag nicht nur etwaige Unklarheiten über die vielfältige Begriffsdefinition, sondern lieferte auch gleich ein paar praxistaugliche Beispiele New Work zu integrieren. Nach Benjamins Auffassung ist New Work vor allem psychologisches Empowerment. Folglich sind alle Faktoren, die dieses erhöhen, New-Work-Maßnahmen. Dazu zählen: Kompetenz, Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung und Einfluss. Diese wirken sich unmittelbar auf die Arbeitszufriedenheit, das Commitment, die Wechselabsichten sowie den Stress aus. KPIs helfen dabei zu erkennen, welche Maßnahmen welchen Effekt beeinflussen.

Nicht alle im Zuge der Digitalisierung schlagendwerdenden Umwälzungen müssen sich auch positiv auf die Arbeitsbedingungen auswirken. Um New Work erfolgreich zu etablieren, ist es wichtig, sich die Situation im Einzelnen anzusehen.

Ein Beispiel, das uns Benjamin zur Förderung von New Work am Arbeitsplatz mitgebracht hatte, ist die DIN-Norm: Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten. Diese beinhaltet viele gesicherte Erkenntnisse, die die Arbeitsbedingungen der einzelnen Mitarbeitenden verbessern. Bereits kleine Maßnahmen wie bspw. Fehlermeldungen, die erklären, warum etwas nicht funktioniert, können viel erreichen. Diese Norm sollte im Designprozess immer im Hinterkopf behalten werden, und so empfiehlt Benjamin Unternehmen, gerne auch einmal ganze Ergonomie Sprints bzw. Workshops durchzuführen. Im besten Fall können daraus Anforderungen abgeleitet werden, die sich später in Backlog Stories oder gar Akzeptanzkriterien wiederfinden.

Abschließend hatte uns Benjamin noch folgende Gedanken mit auf den Weg gegeben. Der Begriff New Work mag sich ändern, doch das Streben nach einem humaneren Arbeitsleben auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse wird bleiben. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass die Digitalisierung nicht zur Entmenschlichung der Arbeit führt. Die Gestaltung von Software spielt hier eine zentrale Rolle – denn gute Usability fördert nicht nur die Benutzungsfreundlichkeit, sondern auch das psychologische Empowerment und somit New-Work-Prinzipien.

Workshop – Tausend Tools & niemand kriegt was mit?

Bereits der erste Workshop unter dem Titel „Tausend Tools & niemand kriegt was mit?“ lockte am Vormittag viele interessierte Teilnehmende an. Neben vielen Vorteilen bringt die digitalisierte Arbeitswelt leider auch viele Stressfaktoren mit sich.

Heide Hüttner (ExtraZwei) betonte dazu einleitend, dass digitaler Stress mittlerweile zum Alltagsbegleiter vieler Menschen gehört. Besonders die gleichzeitige Nutzung mehrerer digitaler Tools führt zu einem konstant wahrgenommenen Grundrauschen im Hintergrund, was wiederum schleichende Stressreaktionen auslöst. Im Arbeitskontext liegen die Folgen schließlich in einer ständigen Erreichbarkeit, einer hohen Informationsflut sowie in einer Vielzahl von Unterbrechungen. Dadurch sind Arbeitnehmende nicht nur deutlich weniger produktiv, sondern auch aufgrund der Verkürzung der Erholungszeiten immer mehr psychischen Belastungen ausgesetzt.

Alle von uns kennen plötzlich aufspringende Messenger-Pop-Ups, ein überlaufendes Postfach oder auch nahezu ineinander übergehende Teams-Meetings, so Heide Hüttner. Auch die Teilnehmenden berichteten von ähnlichen Situationen an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, erklärte Heide Hüttner weiter, in eine selbstbestimmte Mediennutzung überzugehen. Anschließend gab sie den Teilnehmenden noch konkrete Strategien mit an die Hand.

So kann es u. a. hilfreich sein, anfallende Aufgaben durch gezieltes E-Mail-Management zu priorisieren, in arbeitsreichen Phasen Messenger-Benachrichtigungen zu deaktivieren und digitale Tools bewusster zu nutzen und ggf. zu reduzieren. Auch feste Zeiten der Erreichbarkeit mit anderen Mitarbeitenden zu kommunizieren sowie Pausenzeiten und Ruhezeiten klar für sich festzulegen, können sich positiv auf die Stressreduktion auswirken.

Ausblick

Nach diesen interessanten sowie erhellenden Perspektiven geht es in unserem zweiten Teil nicht minder spannend weiter. Dieser befasst sich mit den Vorträgen sowie dem Workshop vom Nachmittag. Neben den kulturellen Anforderungen an eine KI wird es auch um fußballspielende Roboter, einen „tanzenden“ Becher und die aufstrebende Disziplin des UX Writing gehen.