Usability begegnet uns täglich: von der Kaffeemaschine über Smartphone Apps bis hin zu Fahrkartenautomaten. Übersetzt wird Usability meist mit Gebrauchstauglichkeit und genau diese ist bei Mensch-Maschine-Interaktionen der entscheidende Faktor für das Nutzungserlebnis. Im schlimmsten Fall werden Nutzende mit negativen Emotionen konfrontiert. Wer bspw. in Washington ein Verkehrsticket kaufen möchte, findet sich wahrscheinlich vor einem Fahrkartenautomaten, wie diesem hier, wieder:
Quelle: Twitter@RianVDM
Durch die Vielzahl der chaotisch angeordneten Markierungen und Beschriftungen ist dieser alles andere als intuitiv zu bedienen. Es ist davon auszugehen, dass ungeübte Nutzende Schwierigkeiten haben werden, den richtigen Fahrschein zu lösen und darüber hinaus negative Emotionen wie Frustration oder Stress erleben. Es existiert jedoch ein einfacher Weg, schlechte Nutzungserfahrungen zu vermeiden: Usability-Tests. Das Ziel eines Usability-Tests ist das Aufspüren von Problemen und Schwachstellen bei der Benutzung einer Software oder eines Geräts. Dafür erledigt eine Testperson typische Use Cases (Aufgaben) mithilfe des Testgegenstands. Schon fünf Durchgänge mit je einer Testperson reichen aus, um ca. 85 % aller Usability-Probleme des Testgegenstands zu identifizieren (Nielsen, 2000). Usability-Tests mit weniger Versuchspersonen werden eher lückenhafte Ergebnisse liefern, während Usability-Tests mit mehr Versuchspersonen meist nur zu Doppelungen der Beobachtungen führen. Der Arbeitsaufwand ist im Vergleich zu den Auswirkungen schlechter Usability demnach überschaubar.
Die richtige Planung
Am Beginn der Planung eines Usability-Tests sollte zunächst das Ziel der Untersuchung geklärt werden. Die wichtigsten Fragen dabei sind:
- Welcher Testgegenstand soll mit welchem Ziel untersucht werden?
- Welche Nutzungsgruppen sind für den Test relevant?
Sind diese Fragen geklärt, wird sich für ein geeignetes Testsetting entschieden. Die schnellste Art ist der Hallway- oder auch Guerilla-Test. Hier werden spontan und kurz Personen befragt, die in der Nähe sind, meist Mitarbeitende aus dem eigenen Unternehmen oder Menschen auf der Straße. Wesentlich mehr Vorbereitung benötigt der klassische Usability-Test im Labor. Das Labor bezeichnet hier einen Raum mit einem vorbereiteten Arbeitsplatz. Bei dieser Form werden im Vorfeld Testpersonen gesucht und Termine für den Usability-Test vereinbart. Den gesamten Test hindurch sitzen die Testperson und die Interviewleitung gemeinsam am vorbereiteten Arbeitsplatz, während Beobachtende durch einen Einwegspiegel oder via Livestream zusehen. Diese Form des Usability-Tests kann auch remote durchgeführt werden, z. B. wenn die Testpersonen regional verstreut sind. Hierbei finden sich die Interviewleitung und die Testperson gemeinsam in einer Webkonferenz wieder und die Bearbeitung der Use Cases erfolgt über Screen-Sharing. Mittlerweile gibt es auch Anbieter für remote Usability-Tests. Da dort aber keine Interviewleitung anwesend ist, die bei Problemen genauer nachfragen kann, ist diese Form von Usability-Tests nur bedingt zu empfehlen.
Der genaue Ablauf des geplanten Usability-Tests wird in einem Interviewleitfaden festgehalten. Ein solcher Leitfaden ist auch hilfreich, damit im Vorfeld alle Projektbeteiligten die gleichen Erwartungen an den Test und dessen Inhalte entwickeln können. Im Interviewleitfaden sind alle Fragen und Aufgaben festgehalten und der zeitliche Ablauf festgelegt. Während des Tests orientiert sich die interviewende Person am Leitfaden, um nichts zu vergessen.
Folgender Aufbau des Interviewleitfadens hat sich bewährt:
- Vorstellung und Instruktionen
- Vorbefragung
- Bearbeitung der Use Cases)
- Nachbefragung
Durchführung
Sind die Termine vereinbart, der Interviewleitfaden abgestimmt und die Technik vorbereitet, kann mit der Durchführung gestartet werden. Da in letzter Zeit Usability-Tests nur remote möglich waren und diese Form wahrscheinlich auch in Zukunft beliebt bleiben wird, möchten wir dieses Testsetting für unsere Best Practice heranziehen.
Zu Beginn des vereinbarten Termins treffen sich Interviewleitung und Testperson in Microsoft Teams, Zoom oder einem anderen geeigneten Tool für Webkonferenzen. Die Interviewleitung startet mit Zustimmung der Testperson die Aufzeichnung von Bildschirm und Ton. Das mitgeschnittene Video ist besonders hilfreich, um später bei der Auswertung kritische Stellen noch einmal überprüfen zu können. Zudem besteht so auch die Möglichkeit, aus den einzelnen Videos der Usability-Tests ein Highlightvideo zusammenzuschneiden. Dieses liefert allen Projektbeteiligten einen schnellen Überblick der Ergebnisse. Besonders wirkungsvoll sind solche Videos, wenn beim Usability-Test zusätzlich Eye- oder Mousetracking eingesetzt wird. Bei Usability-Tests, die remote durchgeführt werden, sind diese Testmethoden jedoch nur mit erheblichem Mehraufwand realisierbar.
Ist die Aufnahme erst einmal gestartet, beginnen Interviewleitung und Testperson mit dem Usability-Test. Üblicherweise findet zunächst eine Vorbefragung statt. Diese dient dazu, wichtige Informationen zum typischen Nutzungskontext zu erhalten und ist gleichzeitig eine Art Warm-up für die Testperson.
Nach der Vorbefragung startet die Bearbeitung der Use Cases. Die Interviewleitung stellt Aufgaben vor, welche die Testperson ohne Hilfe erledigen soll. Wesentlich dabei ist, dass die Testperson laut denkt, ihre Gedanken laut ausspricht. So kann nachvollzogen werden, an welchen Stellen es Unklarheiten und Verbesserungspotenzial gibt. Wichtig ist auch, dass die Testperson möglichst natürlich mit dem Testgegenstand interagiert – eben so, wie sie es im Nutzungskontext tun würde. Währenddessen stellt die Interviewleitung zum Kontext passende Fragen aus dem Leitfaden. Auch eigene, spontane Fragen sind möglich und häufig sehr sinnvoll. Diese sollten einfach, geschlossen, nicht hypothetisch und nicht suggestiv formuliert sein, um die Testperson nicht zu beeinflussen.
Ist die Bearbeitung der Use Cases abgeschlossen, findet in der Regel noch eine Nachbefragung statt. Dabei stellt die Interviewleitung Fragen zur vorangegangenen Interaktion mit dem Prototyp. Ziel ist es, noch einmal auf Bedienungshürden einzugehen und den Gesamteindruck der Testperson abzufragen. Die Nachbefragung markiert den Abschluss des Usability-Tests mit dieser Testperson. Die Interviewleitung bedankt sich nun für die Mithilfe der Testperson, beendet die Aufnahme der Testsession und verabschiedet sich. Dieses Vorgehen wird wiederholt, bis alle Testpersonen teilgenommen haben. Die Durchführung des Usability-Tests ist somit abgeschlossen und die Auswertung der Ergebnisse kann beginnen.
Beobachtungen auswerten
Um einen Usability-Test auswerten zu können, muss das dort Geschehene beobachtet werden. In der Regel übernehmen diese Rolle Projektbeteiligte oder andere UX-Teammitglieder. Die Beobachtung kann direkt während der Tests über einen Livestream oder anhand einer Aufzeichnung des Gesprächs erfolgen.
Die Beobachtungen sollten auf Klebezetteln notiert werden. Wichtig ist dabei, jeder Testperson eine eigene Farbe zuzuordnen und für jede Beobachtung einen extra Klebezettel zu schreiben. Unwesentlich ist, ob es sich um tatsächliche oder virtuelle Klebezettel handelt. Bei einem remote Setting empfehlen wir die Verwendung eines digitalen Tools zur kollaborativen Zusammenarbeit wie beispielsweise Miro oder Google Docs. Dort können alle Beobachtenden ganz einfach digitale Klebezettel auf einem virtuellen Board sammeln. Findet die Beobachtung nicht remote, sondern gemeinsam im Büro statt, können alternativ Klebezettel beschrieben und an den Wänden befestigt werden.
Sind die Klebezettel erst einmal an einem Ort gesammelt, können sie sortiert und geclustert werden. Wir empfehlen zunächst, Klebezettel mit gleichen oder ähnlichen Beobachtungen gemeinsam zu bündeln. Doppelte Klebezettel (gleiche Beobachtung, gleiche Farbe) können unbedenklich aussortiert werden. Durch die Clusterung der Klebezettel lassen sich jene Stellen identifizieren, an denen wiederholt Probleme aufgetreten sind und es lassen sich zudem auch Problemmuster und Ursachen erkennen. Die Farben zeigen dabei schnell, wie viele Testpersonen von einem bestimmten Problem betroffen sind. Daraus ist ersichtlich, welche Interaktionen häufiger zu Problemen führen und welche Beobachtungen eher Einzelerscheinungen sind.
Ist das Clustern abgeschlossen, kann aus den sortierten Klebezetteln eine Liste mit allen Beobachtungen erstellt werden. Die einzelnen Probleme sollten anschließend im Hinblick auf die Anzahl des Auftretens sowie die Schwere der Einschränkung der Testperson priorisiert werden. Danach können erste Lösungen in die Liste zu den jeweiligen Problemen aufgenommen werden. So entsteht am Ende des Usability-Tests eine Übersicht mit allen Problemen, deren Schwere und möglichen Lösungen. Anhand dieser Liste kann dann entschieden werden, welche der gezeigten Probleme gelöst werden sollten und welche Lösungsansätze es dafür gibt.
Richtig durchgeführte Usability-Tests bieten eine vergleichsweise einfache Möglichkeit, den Großteil auftretender Usability-Probleme zu identifizieren. Negative Nutzungserlebnisse werden somit vermieden und die Attraktivität des Produkts erheblich gesteigert. Gute Usability ist für zeitgemäße Produkte unverzichtbar geworden und trägt durch die positiven Nutzungserlebnisse auch maßgeblich zur Reputation eines Unternehmens bei. Sie ebnet den Weg in eine barrierefreie Zukunft.
Quellen:
Nielsen, Jakob (2000): Why You Only Need to Test with 5 Users, in: www.nngroup.com
[online, abgerufen am 14.03.2022]