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Unsere Xperten über KI in der Softwareentwicklung (1)

Lesedauer ca. 7 Minuten
18.06.2024

Knapp ein Jahr ist vergangen, seit wir unsere Xperten zum AI Appreciation Day befragt haben. Seither hat sich einiges in der Branche, was KI betrifft, getan. Nahezu monatlich erscheinen neue KI-Tools und mit Devon AI kam im März sogar der erste KI-Software-Ingenieur auf den Markt.

Wir haben erneut unsere Xperten zur aktuellen Lage befragt. Als Mitglieder unserer KI-Task-Force plaudern sie aus dem Nähkästchen und wagen auch eine Prognose. Den Anfang unserer Reihe macht Artur Schiefer, der nicht nur Bereichsleiter für Softwareentwicklung und Data Science ist, sondern auch Teil unserer Geschäftsleitung.


foto_artur_ki Artur Schiefer


Wie schätzt du aktuelle Lage ein?

Momentan befinden wir uns noch mitten in der Hypephase. Es gibt viele Unternehmen, die großes Interesse daran haben, mit KI zu arbeiten, aber noch nicht über die nötige Erfahrung verfügen oder gerade ihre ersten Schritte damit gehen. Viele sind auch noch in dem Stadium, ihre Daten überhaupt trainingsreif zu bekommen und das ist gar nicht so einfach. Hier gilt es vor allem herauszufinden, was es im Detail bedeutet, für KIs einen passenden Datenpool bereitzustellen. Letztlich ist das auch eine sehr kostspielige Angelegenheit mit großem Aufwand (Beratung, Zeit, Energie etc.).

Aktuell ist es auch so, dass KI hauptsächlich durch Investoren und nicht von den Kunden bezahlt wird. Was der tatsächliche Preis des KI-Einsatzes im industriellen Maßstab sein wird, ist derzeit nicht absehbar. Software für Endnutzende am bspw. Smartphone oder Tablet meine ich damit gar nicht; das wird schnell möglich sein und ist es zum Teil ja bereits. Wer leistungsstarke Modelle für die industrielle Anwendung möchte, wird zukünftig sicherlich ähnliche Preise wie heute für Cloud Computing zahlen.

Blickt man speziell auf unsere Branche in der Softwareentwicklung, ist klar zu erkennen, dass KI-Werkzeuge immer mächtiger werden. Zukünftig werden KI-Tools viele Standardaufgaben vom Requirements Engineering über die eigentliche Entwicklung bis hin zur Testabnahme übernehmen, diese Prozesse beschleunigen und verbessern. Mittelfristig sehe ich jedoch nicht, dass KI diese Aufgaben autonom erledigen kann. Wenn es sich nicht gerade um relativ simple Aufgaben handelt, wird es weiterhin Menschen brauchen, um mindestens die Qualität der KI-Ergebnisse abzusichern. Ich denke auch, dass vor allem Produktideen nach wie vor in Menschenhand bleiben werden. Der Mensch ist nicht rational und auch das, was beim Menschen ankommt, ist schwierig berechenbar. Menschliche Intuition kann nicht von einer Maschine imitiert werden.

Was Deutschland betrifft, so gibt es gerade 2–3 relevante KIs (Aleph Alfa, DeepL), die hier entstanden sind. Gleichzeitig existiert auch eine reiche Szene an Start-ups, die derzeit KI einführen und nutzen. Seit ein paar Jahren ist da auch ein Umdenken an den Unis zu spüren. Data Science hat einen viel größeren Anteil als früher. Für viele Studierende, die heute zu uns kommen, sind Data-Science-Methoden fester Bestand ihrer Arbeitsweise. Das liegt u. a. daran, dass Daten immer noch als das neue Gold angesehen werden. Abzulesen ist das auch am rasanten Aufstieg von Python als Sprache der Data Scientists. Die Menge angesammelter Daten steigt exponentiell und da braucht es neue Methoden wie bspw. Machine Learning, um damit arbeiten bzw. neue Dinge generieren zu können. Parallel ist auch der KI-Anteil im Bereich Data Science deutlich gestiegen.

Ich sträube mich dagegen, klassische Data-Science-Methoden und Statistik als KI zu bezeichnen, auch wenn es natürlich nicht so leichtfällt, hier eine trennscharfe Linie zu ziehen. Klassische Data-Science-Methoden werden nach meiner Einschätzung auch in Zukunft noch Bestand haben. Es gibt auch einige Beispiele, bei denen man durch die versuchte Entwicklung von KIs viel simplere Problemlösungen gefunden hat, einfach weil man mit frischem Blick auf Daten und Prozesse geschaut hat.

Du hast ja bereits einen kleinen Ausblick in die Zukunft gegeben, kannst du da ein wenig konkreter werden?

Ich denke, das, was wir gerade durchmachen, ist vergleichbar mit jener Phase, in der das Internet gerade kommerzialisiert wurde. Hätte jemand Anfang der 1990er gefragt, welche Änderungen unseres Alltags sich daraus ergeben, hätten 99 % falsch gelegen, und so ist es, denke ich, auch mit KI heute.

Was die Softwareentwicklung betrifft, wird es viel darum gehen, wie diese neuen Tools anzuwenden sind. Kommen neue Tools auf den Markt, braucht es auch neue Fähigkeiten und viel Erfahrung der damit arbeitenden Fachleute. Z. B. um zu erkennen, für welche Aufgaben es sich letztendlich lohnt, KI einzusetzen bzw. wo an den KI-generierten Lösungen auch noch einmal nachgearbeitet werden muss. Ein anderer großer Punkt ist, dass speziell generative KIs bisher nur einen Blick in die Vergangenheit liefern. Die Softwareentwicklung wird nicht stehen bleiben und durch Fachleute kontinuierlich vorangetrieben. Dann muss generative KI erst nachtrainiert werden. Wer weiterhin wettbewerbsfähig bleiben möchte, benötigt nun exzellente Softwareentwicklung, die KI-Tools in ihren Arbeitsalltag wertschöpfend integrieren kann.

Was bedeuten diese Entwicklungen für IT-Unternehmen in Deutschland?

Wenn ich auf unser Unternehmen oder Software-Firmen in Deutschland generell schaue, so ergeben sich aus diesen Umwälzungen natürlich einige Ableitungen.

Gerade sind wir dabei, unsere Mitarbeitenden für den Einsatz von KI in der Softwareentwicklung fit zu machen. Es ist wichtig, den Mitarbeitenden die entsprechenden Tools zur Verfügung zu stellen und sie im kommerziellen Umgang mit diesen zu schulen.

Derzeit haben wir bei uns im Unternehmen so etwas wie eine KI-Task-Force etabliert. Auch ich bin Teil dieser Gruppe und gemeinsam definieren wir, welche KI-Tools sich am besten für unsere Arbeit und Kunden eignen und wie wir diese effizient in unsere Abläufe integrieren. Wir befähigen nicht nur unsere Mitarbeitenden im Umgang mit diesen, sondern schaffen auch den regulatorischen Rahmen für den sicheren kommerziellen Umgang damit. Dabei versuchen wir zum einen, so nah wie möglich an unseren Mitarbeitenden dran zu sein und gleichzeitig auch, die Interessen unserer Kunden im Blick zu haben. Gemeinsame Interessen sind immer der beste Motivator, etwas Neues zu schaffen.

Auch wenn sich genaue Vorhersagen schwierig gestalten, bietet KI natürlich große Chancen für die Softwareentwicklung. Man wird viel schneller professionellen Code produzieren können. Hochwertige Lösungen mit bewährten Patterns und Architekturen werden in bisher ungeahnter Geschwindigkeit entstehen. Die KI kennt, was bereits einmal gut gelöst worden ist und kann Softwareentwickelnde mit ihrem Wissen unterstützen. Vor allem Aufgaben, die vielen Entwickelnden als eher mühsam gelten, wie bspw. die Dokumentation zu hinterlegen, API-Beschreibungen, die Fehlersuche oder aber auch das Mergen von Codes, werden zukünftig durch KI-Tools größtenteils automatisiert werden.

Bisher existiert nur sogenannte schwache KI. Diese verfügt nicht über die kognitiven Fähigkeiten des Menschen. Bei ungelösten bzw. neuen Problemen wird der Mensch weiterhin eine große Rolle spielen. Trotzdem ist es natürlich spannend, wenn man die Künstlichen Intelligenzen unterschiedlicher Domains miteinander verknüpft und diese Domains dann automatisiert zusammenarbeiten und so zu einer Lösung kommen.

Wo siehst du Probleme im Zusammenhang mit KI?

Wie alles hat auch die Anwendung von KI seine Schattenseiten und es kommt darauf an, wie sie eingesetzt wird. Schon jetzt gibt es KI-generierte Clickbaits, Spam und Phishing Mails. Insgesamt braucht es hier viel Sensibilisierung in der Gesellschaft von klein bis groß. Genauso wie es unlautere KI-Verwendung gibt, werden aber auch immer wieder Tools entwickelt, diese abzuwehren.

Einfache Arbeiten, die früher von Menschen erledigt wurden, werden in Zukunft von KI-Tools übernommen werden. Wirft man einen Blick in die Vergangenheit der Digitalisierung, sieht man, dass ganz viele durch Menschen verrichtete Tätigkeiten bspw. aus dem Bürosektor heute so nicht mehr existieren. Diese Entwicklung wird durch die Synergieeffekte von Digitalisierung und KI noch weiter vorangetrieben werden und sich auf alle Branchen bis in ihre Teilbereiche ausweiten. Wie groß der Schnitt für betroffene Gesellschaftsgruppen tatsächlich sein wird, bleibt abzuwarten.

Gleichzeitig bietet der Einsatz von KI natürlich auch Vorteile. Menschen werden von Routineaufgaben befreit und bekommen ganz neue Perspektiven. Auf die Softwareentwicklung bezogen, hilft KI erst einmal, den akuten Fachkräftemangel zu lindern. Das Profil von Softwareentwickelnden wird sich verändern, wie es das auch bisher schon getan hat. Vorerst kann weiterhin nur der Mensch neue Herausforderungen der realen Welt in einer digitalen Umgebung lösen.