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WUD 2024 – Fachrückblick (2)

Lesedauer ca. 5 Minuten
12.12.2024

Der erste Teil unseres Fachrückblicks beleuchtete, wie UX-Design kreative Prozesse unterstützt, Conversational AIs gestaltet und Human Factors in Verkehrssystemen integriert werden können. Ein Workshop zeigte zudem, wie KI-Tools den Design- und Entwicklungsprozess effizienter machen können.

Im zweiten Fachrückblick widmen wir uns den verbliebenen vier Programmpunkten des World Usability Days 2024, die beeindruckende Ansätze für inklusives und zukunftsorientiertes UX-Design präsentierten. Durch diese Beiträge wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig der Fokus auf Inklusivität und menschenzentriertes Design für die Zukunft von UX-Design ist. Ob in Workshops, urbanen Räumen, generativen Interfaces oder neuen Technologien – der Mensch bleibt immer im Mittelpunkt.

Die Vielfalt dieser Beiträge spiegelte die Rolle von UX-Design wider, komplexe Herausforderungen zu bewältigen und nachhaltige, menschenzentrierte Lösungen zu entwickeln.

Klartext für B2B-Dateninteraktionen: Workshop zum UX Writing

Birgit Horn von Invision leitete erneut einen praxisorientierten Workshop zum Thema UX Writing. Mit 25 Teilnehmenden aus den Bereichen UX Writing und Design bot der Workshop eine Plattform für den Austausch und die Erarbeitung klarer und standardisierter Texte für typische B2B-Software-Aktionen wie Anlegen, Bearbeiten oder Löschen von Daten (CRUD-Funktionen).

Ein besonderer Fokus lag auf Fehlermeldungen, die statt vager Hinweise wie „Fehler aufgetreten“ konkrete Hilfestellungen bieten sollten. Auch die Gestaltung von Icons und Buttons wurde diskutiert – insbesondere, wann ein Icon allein ausreicht und wann erklärender Text nötig ist. Dabei stand die Konsistenz für ein einheitliches Nutzungserlebnis im Mittelpunkt. Die Standardisierung von Textmustern bildete einen weiteren Schwerpunkt. Sie erleichtert Übersetzungen und sorgt für eine verbesserte Usability, ohne die notwendige Flexibilität zu verlieren.

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Praktische Übungen und fundierte Tipps zeigten, wie prägnante Texte und durchdachte Visualisierungen die Benutzungserfahrung gezielt verbessern können. Der Workshop bot den Teilnehmenden wertvolle Impulse für die tägliche Arbeit.

Feministisches UX-Design: Sicherheit in Städten und Inklusivität im E-Commerce

Margarita Osipova und ihre Co-Referentin Urszula Kulon von der Bauhaus-Universität Weimar zeigten, wie UX-Design digitale und urbane Räume für Frauen sicherer und inklusiver machen kann. Ihr feministischer Ansatz, der Pluralismus und Partizipation in den Fokus rückt, verdeutlichte, wie Design die Lebensqualität gezielt verbessern kann.

Inklusivität im Fashion-E-Commerce

Im ersten Teil des Vortrags analysierte Urszula die Erfahrungen von Frauen auf Fashion-E-Commerce-Websites. Studien zeigten, dass misslungene Online-Käufe oft negative Auswirkungen auf das Selbstbild haben. Als Antwort darauf wurde eine Prototyp-Website entwickelt, die Features wie Avatare basierend auf eigenen Maßen, realistischere Models in verschiedenen Posen und präzisere Größenangaben integriert. Zudem berücksichtigt die Website unterschiedliche Körpertypen, Hautfarben und Altersgruppen, um ein breiteres Spektrum von Nutzenden anzusprechen. Diese Maßnahmen verbessern nicht nur die Benutzungserfahrung, sondern helfen auch, Retouren und deren ökologische Folgen zu minimieren.

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Sicherheit in Smart Cities

Der zweite Teil des Vortrags beleuchtete, wie UX-Design Frauen in städtischen Räumen besser schützen kann. Studien zeigen, dass Technologien oft erst dann eingreifen, wenn Gefahr bereits eingetreten ist – ein Ansatz, den Margarita als unzureichend kritisierte. Stattdessen sollten präventive Lösungen entwickelt werden, um Risiken frühzeitig zu minimieren.

Forschungen in Berlin, Kairo und Melbourne zeigten spezifische Herausforderungen auf: von Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu rechtlichen Schutzlücken. Margarita betonte, dass Lösungen wie smarte Stadtplanung oder präventive Sicherheitsmaßnahmen durch einen feministischen Co-Design-Ansatz ergänzt werden müssen. Nur durch aktive Einbindung der Betroffenen können urbane Räume entstehen, die Sicherheit und Inklusivität gleichermaßen fördern. Eine wirklich „smarte“ Stadt beginnt nicht mit reaktiven Maßnahmen, sondern mit einer präventiven, menschenzentrierten Gestaltung, die Sicherheit von Anfang an in den Fokus rückt.

Der Vortrag machte deutlich, dass UX-Design durch die Berücksichtigung menschlicher Perspektiven und Bedürfnisse eine Schlüsselrolle für inklusivere und sicherere Räume spielt. Margarita machte deutlich, dass der Schlüssel zu einer besseren Welt im aktiven Zuhören liegt – und in einem Design, das auf die reale Vielfalt der Menschen eingeht.

Generative UI: Verbesserung der Usability durch KI

Holm Hänsel, UX Designer bei Jambit, zeigte in seinem Vortrag, wie Generative UI (GenUI) durch KI personalisierte Benutzungserfahrungen ermöglicht. Statt standardisierter Interfaces erlaubt GenUI dynamische Anpassungen basierend auf Nutzungsverhalten und individuellen Daten. Holm präsentierte Beispiele wie barrierefreie Designs für Personen mit Legasthenie, die kontrastreiche Oberflächen und reduzierte Texte nutzen.

Der Ansatz bietet klare Vorteile: Präzise zugeschnittene Produkte steigern die Zufriedenheit und Loyalität der Nutzenden, während automatisierte Prozesse effizient und skalierbar bleiben. Designende übernehmen dabei eine strategische Rolle, indem sie Regelwerke für die KI definieren.

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Herausforderungen bestehen jedoch in der Qualität der Datenbasis. Verzerrte oder unvollständige Daten können fehlerhafte Designs verursachen, und Datenschutz bleibt ein kritisches Thema. Holm betonte, dass GenUI Werkzeuge bietet, aber menschliche Kontrolle und strategische Steuerung unerlässlich bleiben. Sein Fazit: GenUI verschiebt den Fokus im UX-Design hin zu datenbasierten, ergebnisorientierten Nutzungserlebnissen – ein bedeutender Fortschritt für die Interfacegestaltung.

Brain-Body Interaction: Wege zu einer inklusiven Zukunft

Ravi Kanth Kosuru vom Fraunhofer IAO zeigte in seinem Vortrag auf, wie neurophysiologisch basierte Schnittstellen das Potenzial haben, innovative Technologien für mehr Inklusion zu schaffen. Diese Systeme sind darauf ausgelegt, die Vielfalt menschlicher Fähigkeiten zu berücksichtigen und barrierefreie Interaktionen sowohl im privaten als auch beruflichen Umfeld zu ermöglichen.

Ravi beleuchtete die Entwicklung der Mensch-Technologie-Interaktion und stellte fest, dass der Fokus zunehmend auf automatisierten und kognitiven Technologien liegt. Ein Beispiel für diese Fortschritte ist das kontextsensitive Kommunikationssystem KONTAKT. Mithilfe von Eyetracking und Sensoren, die das Gesprächsumfeld analysieren, ermöglicht es Menschen mit Einschränkungen, schneller Texte einzugeben und besser zu kommunizieren. Kontextsensitive Wortvorschläge und optimierte Benutzungsoberflächen sorgen dabei für eine vereinfachte Interaktion.

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Zentral für die Weiterentwicklung solcher Technologien ist das Verständnis der neurophysiologischen Reaktionen der Nutzenden. Ravi stellte verschiedene Ansätze vor, wie kognitive Belastungen, Aufmerksamkeit und Stresslevel gemessen und ausgewertet werden können. Projekte wie „UFO“ nutzen diese Erkenntnisse, um VR-gestützte Lernumgebungen zu schaffen, die sich in Echtzeit an die mentalen Anforderungen der Nutzenden anpassen. Ziel ist es, insbesondere neurodivergente Menschen im Alltag zu unterstützen. Durch neuroadaptives Feedback und taktile Signale wird ein intensiveres Lernen ermöglicht und die Inklusion gefördert.

Abschließend hob Ravi hervor, dass eine inklusive Zukunft erfordert, Interaktionsbarrieren zu überwinden und Technologien zu entwickeln, die sich flexibel anpassen. Menschliche Vielfalt soll nicht als Hindernis, sondern als Chance für innovative Technologien gesehen werden.

Ausblick: Menschenzentriertes Design als Wegweiser für die Zukunft

Der zweite Teil unseres Fachrückblicks zeigt auf, wie vielseitig und richtungsweisend die Beiträge beim WUD 2024 waren. Von UX-Writing-Standards über KI-gestützte Interfaces bis hin zu feministischen und neurophysiologischen Ansätzen – alle Programmpunkte unterstrichen, wie UX-Design Inklusion, Präzision und Kontext fördern kann.

Praktische Anwendungen wie barrierefreie Interfaces im Gesundheitswesen, adaptive Arbeitsplätze oder sicherere Smart Cities bieten vielversprechende Perspektiven. Der World Usability Day hat auf jeden Fall wieder einmal gezeigt: UX-Design ist nicht nur ein kreatives Handwerk, sondern eine Schlüsselkompetenz für die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft.