zur Übersicht

WUD 2024 – Fachrückblick (1)

Lesedauer ca. 5 Minuten
29.11.2024

„Designing for a Better World“ – unter diesem Motto zeigten unsere hochkarätigen Speaker beim achten WUD Leipzig, wie Technologien und Design die Zukunft positiv gestalten können. Während unser Newsbeitrag das Event und seine Highlights in den Mittelpunkt stellte, tauchen wir in diesem Fachrückblick tiefer in die Vorträge und Workshops ein. Ungewöhnliche Perspektiven aus der UX-Praxis zogen sich durch den gesamten Tag und boten neue Ansätze für nachhaltige Lösungen. Auch das allgegenwärtige Thema Künstliche Intelligenz stand im Fokus und wurde aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Keynote: Alle Kreativen sterben aus – GenAI gewinnt

Richard Bretschneider zeigte in seiner Keynote, wie Künstliche Intelligenz (KI) kreative Prozesse verändert und welche Auswirkungen das auf Berufe im Musikbusiness hat. Sein Ausgangspunkt war die Überlegung, dass Kunst nicht in Werkzeugen oder Technologien verankert ist, sondern in der individuellen Weltsicht der Menschen, die Kunst produzieren. Doch was geschieht, wenn KI immer größere Anteile übernimmt?

WUD_Richard


Anhand eines Experiments demonstrierte Richard, wie schnell KI mittlerweile kreative Aufgaben bewältigen kann. Mit ChatGPT und KI-gestützten Musiktools generierte er in nur 90 Sekunden einen vollständig produzierten Song. Obwohl er von den Ergebnissen beeindruckt war, stellte er die kritische Frage: Wenn der kreative Prozess, der Kern der Kunst, durch KI ersetzt wird – bleibt dann noch Raum für Individualität?

Statt jedoch den Untergang von Kreativität und Kunst zu prophezeien, zeigte Richard, wie KI bestimmte Probleme in der Musikbranche lösen kann: etwa durch Stimmklonen zur Simulation von Chören, intuitive Steuerung komplexer Synthesizer mittels Handbewegungen oder eine erweiterte Gitarre, die Schlagzeugklänge erzeugt. Sein Fazit: KI ist kein Ersatz für Kreativität, sondern ein Werkzeug. Es liegt an den Nutzenden, bewusst zu entscheiden, wie sie Technologie nutzen – als Unterstützung oder als Ersatz.

KI als Partner im Design- und Entwicklungsprozess

Danny Hucke und Tina Marschner von der IT Sonix erläuterten in ihrem Vortrag „Replace me if you can“, wie KI-Tools den Design- und Entwicklungsprozess unterstützen können. Sie stellten die Frage: Kann KI menschliche Expertise ergänzen oder sogar ersetzen, um schneller funktionale Prototypen zu entwickeln?

In einem Experiment entwickelten sie ein Mood-Tracking-Journal – ein minimalistisches Tool mit Design- und Backend-Komponenten. Mithilfe spezialisierter Tools wie Locofy, Gemini und GitHub Copilot Workspace erstellten sie ein End-to-End-Produkt. Diese Tools ermöglichten schnelles Prototyping und kreative Ansätze, erforderten jedoch ständige Kontrolle und klare Steuerung.

WUD_Tina_Danny


Die wichtigste Erkenntnis: KI-Tools steigern die Produktivität und eröffnen neue Möglichkeiten, sind aber keine „Knopfdrucklösungen“. Jedes Tool hat spezifische Anforderungen, die menschliches Know-how unverzichtbar machen.

Aufbauend auf ihrem Vortrag führten die beiden auch einen interaktiven Workshop durch, in dem die Tools Locofy und Lovable im Fokus standen. Die Teilnehmenden arbeiteten in Zweierteams an Aufgaben wie Dashboards oder Kontaktformularen und lernten, durch gezielte und iterative Prompts präzisere Ergebnisse zu erzielen. Die Diskussion hob Einsatzmöglichkeiten wie Rapid Prototyping und User Flow Testing hervor, zeigte aber auch Limitationen wie ineffizienten Code auf. Der Workshop unterstrich das hohe Potenzial von KI-gestütztem Prototyping, betonte jedoch die Notwendigkeit eines klaren methodischen Ansatzes, um die Ergebnisse effizient in Entwicklungsprozesse einzubinden.

Von Chatbots zu Freunden: Designprinzipien für Conversational AI

Dominique Winter von den Produktwerkern zeigte in seinem Vortrag „Von Chatbots zu Freunden: Designprinzipien für Conversational AI“, wie Conversational AIs durch gezieltes Beziehungsdesign zu emotionalen und verantwortungsvollen Begleitern werden können. Wie auch im herkömmlichen UX-Design steht hier die Erfahrung der User im Mittelpunkt. Es geht jedoch nicht nur darum, eine gute Erfahrung zu schaffen, sondern vor allem darum, dass diese positiv in Erinnerung bleibt, so Dominique. Denn erinnerte Erlebnisse bringen Nutzende dazu, Produkte langfristig zu schätzen und immer wieder zu verwenden.

Besonders interessant war die Idee, dass Mensch und AI sich gegenseitig „erziehen“. Conversational AIs lernen durch Rückmeldungen und Interaktionen, wobei klare Werte und Prinzipien Fehlentwicklungen verhindern müssen. Gleichzeitig beeinflusst die „Persönlichkeit“ der AI das Verhalten der Nutzenden.

WUD_Dominique


Dominique betonte die Verantwortung, Systeme so zu gestalten, dass sie Respekt, Empathie und Fairness fördern. Er schloss sinngemäß mit der Feststellung, dass wir nicht nur durch uns selbst, sondern auch durch unsere Produkte und die Prinzipien, die sie vertreten, die Welt von morgen gestalten.

Human Factors als Schlüssel zu fairen und sicheren Verkehrssystemen

Oliver Singler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar, betonte die zentrale Bedeutung der Human Factors für die Gestaltung sicherer und fairer Verkehrssysteme. Diese Disziplin untersucht die Interaktion von Menschen mit Technologien, um Systeme benutzungsfreundlich, sicher und effizient zu gestalten. Im Verkehr ist dies besonders relevant, da über 80 % der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Trotz technischer Innovationen wie Notbremsassistenten stagniert die Unfallrate – ein Zeichen dafür, dass technische Lösungen allein nicht ausreichen.

Oliver unterstrich die Notwendigkeit, Systeme zu entwickeln, die intuitives Verhalten fördern und kognitive Belastungen reduzieren. Die Forschung kombiniert dazu objektive Methoden wie psychophysiologische Messungen für Stressreaktionen (z. B. Pupillengröße oder Herzfrequenz) und Verhaltensanalysen (z. B. Brems- und Lenkmanöver) mit subjektiven Bewertungen durch bspw. Fragebögen.

WUD_Oliver


Als konkretes Anwendungsbeispiel nannte er die Entwicklung von Karten für autonome Fahrzeuge, die gefährdete Verkehrsteilnehmende schützen, sowie Eye-Tracking-Analysen zur Vorhersage der Bewegungen von Radfahrenden.

Am Ende hob Oliver hervor, dass Human Factors in allen Disziplinen von großer Bedeutung sind. Die Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse ist entscheidend für die Schaffung sicherer und nachhaltiger Systeme in nahezu allen Bereichen – von der Medizin bis zur Softwareentwicklung. Er rief dazu auf, diese Prinzipien stärker zu integrieren, um zukünftige Herausforderungen durch eine ganzheitliche, menschenzentrierte Herangehensweise zu bewältigen.

Ausblick

Zusammenfassend hat der World Usability Day 2024 in Leipzig eindrucksvoll gezeigt, wie vielfältig und tiefgreifend die aktuellen Entwicklungen im UX-Design sind. Von der Rolle der Künstlichen Intelligenz als kreativer Partner über die Gestaltung von Conversational AIs bis hin zur zentralen Bedeutung der Human Factors in Verkehrssystemen – alle Vorträge betonten, dass der Mensch stets im Mittelpunkt stehen muss. Es wurde deutlich, dass Technologie nicht als Ersatz, sondern als Werkzeug begriffen werden sollte, um menschliche Fähigkeiten zu erweitern und nachhaltige, sichere Lösungen zu schaffen.

Ein roter Faden zog sich durch die Beiträge: die Verantwortung, die wir als Designer und Entwickelnde tragen, um Produkte und Systeme zu schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch ethisch und inklusiv sind. Die Betonung lag darauf, bewusst zu entscheiden, wie wir Technologien nutzen und welche Prinzipien wir in unsere Arbeit einfließen lassen.

Im zweiten Teil unseres Rückblicks setzen wir genau an diesem Punkt an. Wir tauchen tiefer ein in die Interaktion zwischen Gehirn und Körper und wie die Integration von Kontext zu einem inklusiveren Design für die Zukunft beitragen kann. Zudem beleuchten wir die Sicherheit von Frauen in Smart Cities und diskutieren, wie E-Commerce-Websites das Körperbild von Frauen beeinflussen. Abschließend fassen wir die zentralen Erkenntnisse unseres UX-Writing Workshops zusammen und zeigen dessen Bedeutung für effektives und nutzungszentriertes Design auf.